H 3. August 2018. Oerlikons Technology & Innovation Center in Feldkirchen bei München. Kurzfristig hat Blanka Szost eine Lücke im Terminplan für uns gefunden. Drei Stunden zwischen Teambesprechungen, Besuchen von Kunden und wissenschaftlichen Stu- dien, nicht zu vergessen der täglichen Pflege ihres Netzwerks im Bereich Materialwissenschaft und Additive Fertigung. Professoren, ehemalige Kommilitonen, Kollegen, Experten aus aller Welt. Das Who is Who einer jungen, aufregenden Branche. Es geht um mehr als 3D-Drucker und Metallpulver Szost, geboren 1984, ist Leiterin Research & Development in Feldkirchen und damit das Pendant zu Shawn Kelly, der Oerlikons R&D-Team in Charlotte leitet. Wie Kelly sieht Szost in AM »ein komplett neues Universum mit beinahe unbe- grenzten Möglichkeiten.« Was sie konkret damit meint? »Nun«, sagt Szost, »AM ist die Technologie der Zukunft. Neben den offensichtli- chen Vorteilen wie der Freiheit beim Design und der Entwicklung neuer Funktionen und Materialien liefert AM einen nachhaltigen und intelligenten Produktionsweg, der anders als kon- ventionelle Fertigung keinen exten- siven Abfall kreiert.« Zudem könnten Drucker überall platziert und mit Pulver versorgt werden. »Irgendwann können wir vermutlich sogar auf dem Mond drucken, indem wir Mondstaub nutzen, um eine Basis zu errichten.« Bei Additive Manufacturing, so Szost, komme alles zusammen: Material- wissenschaften, Komponentendesign, Produktion und Nachbearbeitung. Das Faszinierende: »Wie die Natur ist AM in der Lage, Stabilität und/oder Flexibilität in Teilen genau dort einzu- setzen, wo sie gebraucht werden.« Die Aufgabe von R&D dabei? »Ver- bindungen aus Pulver, Prozess und Materialen zu finden, die maximale Möglichkeiten ergeben.« »Momentan arbeiten wir verstärkt an der Wiederholbarkeit, den repetitiven Prozessen.« Dabei komme es nicht nur auf 3D-Drucker und Metallpulver an, sondern auch auf Zuverlässigkeit, Effizienz und Qualität. »Am meisten Sinn macht AM bei kleinen und mittle- ren Produktionsserien mit komplexer Geometrie, die andernfalls großen Maschineneinsatz erfordern würden.« Szost nimmt sich an diesem heißen Augusttag viel Zeit für unseren Besuch. Es beginnt mit einem Rundgang durch das Technology & Innovation Center. Erst zu den 3D-Druckern, dann in mechanische, chemische, mikroskopische Laborräume und zu den Metallpulvern. Szost erläutert Geräte, Apparaturen, wie AM im Vakuum funktioniert und wie Legie- rungen aus dem Drucker mit Mikro- skopen von Zeiss erforscht werden. Sie beschreibt, wie sie mit ihrem zehnköpfigen Team aus Materialwis- senschaftlern den Mysterien additiver Fertigung auf die Spur kommt. Und wie funktioniert die Arbeit eines R&D-Teams? Trial and error? Szost lächelt: »Ich würde es eher educated guess nennen, schließlich bringt jeder von uns schon viel Wissen mit.« Lernen, Verstehen, Erklären Wissen ist, wonach Kooperations- partner und Kunden, zu denen unter anderem Lufthansa Technik, Boeing, LENA Space oder Druckerhersteller gehören, suchen. »Entscheidend ist, welchen Zweck das Produkt des Technologie & Innovation 11 Kunden erfüllen muss, wie viele Teile benötigt werden, was die Arbeits- bedingungen sind.« Dazu müsse man die Materie umfassend verstehen, um prägnant und zielführend beraten und innovative Lösungen anbieten zu können. »Ganz ehrlich: Nicht alles lässt sich durch AM ersetzen.« Weil nicht alles Sinn macht. Das müsse dem Kunden möglichst direkt und nachvollziehbar vermittelt werden. Szost: »›Wenn du es nicht einfach erklären kannst‹, hat schon Albert Einstein gesagt, ›hast du es nicht gut genug verstanden.‹« Lernen. Verstehen. Erklären. So war das schon immer. Davon erzählt sie ein Stockwerk höher, in einem Konferenz- raum hinter ihrem Büro. Szost spricht über ihre Kindheit in einer Kleinstadt im Süden von Polen, wo sie zusammen mit fünf Geschwistern aufwächst. Als sie sich mit zehn Jahren ein Radio wünscht, fehlt das Geld. Auf dem Speicher liege ein kaputter Fernseher, sagt man ihr. Den könne sie haben. Mit Ersatzteilen und unermüdlicher Bastelarbeit verwandelt das Mädchen den kaputten Fernseher in ein Radio. »Ich glaube, Zeit ist der entschei- dende Faktor in allem«, sagt Szost. »Wenn du eine komplizierte mathe- matische Gleichung zum ersten Mal vor dir hast, verstehst du nichts. Beim zweiten Mal ist es schon besser. Beim dritten Mal werden Prozesse im Gehirn aktiviert. Und beim fünften und sechsten Mal fängst du an, die Sache zu beherrschen.« »Ich muss immer lernen. Ich strebe immer nach Perfektion. Und ich habe keine Angst vor Herausforderungen.« BEYOND SURFACES 03|2018