Für Nutzer batterieelektrischer Fahrzeuge (Battery Electric Vehicles, BEVs) spielen hohe Reichweite und kurze Ladezeiten eine wichtige Rolle. Das erfordert Lithium-Ionen-Batteriesysteme mit leistungsstarken Zellen. Damit steigt jedoch das Risiko eines sogenannten thermischen Durchgehens, das schwere Schäden am Fahrzeug verursachen und die Insassen gefährden kann. Oerlikon hat Lösungen entwickelt, um die Auswirkungen eines solchen Vorgangs zu minimieren.
Die Marktakzeptanz von batterieelektrischen Fahrzeugen hängt stark von der Leistung und den Kosten der Fahrzeuge ab. Entscheidend für die Leistung ist die Antriebsbatterie – sie ist aber auch ein Hauptfaktor hinsichtlich der Kosten. Für den Markterfolg braucht es daher kontinuierliche Verbesserungen der Antriebsleistung und Reduzierung der Kosten.
Die Erwartungen hinsichtlich hoher Reichweiten und kurzer Ladezyklen erfordern Batterien mit hoher Energiedichte, was ein enges Zellpackaging in leistungsstarken Nickel-Mangan-Kobalt (NMC)-Zelltypen bedeutet. Das inhärente Risiko solcher Zellen ist das sogenannte thermische Durchgehen (Thermal Runaway, TR), eine Selbsterhitzung der Batteriezelle, bei der es zu einem exothermen Abbau der aktiven Masse kommt. Das führt zu einer explosionsartigen Freisetzung der heißen und leitfähigen Reaktionsgase durch die Überdrucköffnung. Die Selbsterhitzung wird ausgelöst, wenn die Zelltemperatur eine kritische Grenze überschreitet. Das kann durch interne oder externe Kurzschlüsse, externe Erwärmung, Überladung oder eine Fehlfunktion des Kühlsystems verursacht werden.
Ohne Schutzkonzept löst dieses Ereignis ein TR in weiteren Zellen aus, und zwar durch Wärmeübertragung auf benachbarte Zellen, den heißen Gasstrom einer entlüftenden Zelle oder indem sich die elektrisch leitende Atmosphäre durch Lichtbögen entzündet. Diese Kettenreaktion wird als thermische Ausbreitung (Thermal Propagation, TP) bezeichnet und führt zu schweren Schäden an der Batterie oder dem Fahrzeug und im schlimmsten Fall zu fatalen Folgen für die Insassen. Das Risiko eines TRs kann konstruktiv minimiert, aber nicht ausgeschlossen werden. Es braucht ein Sicherheitskonzept, um eine TP und ihre verheerenden Folgen zu vermeiden
Bauteile wie Hitzeschilde, gasableitende Strukturen und Zelltrennelemente erhöhen die Sicherheit eines Batteriesystems, BILD 1. Ein Hitzeschild befindet sich in der Regel zwischen der Entlüftungsöffnung der Zelle und dem Batteriedeckel beziehungsweise-gehäuse. Er schützt diese Bauteile vor der direkten Einwirkung des partikelbeladenen, heißen Gasausstoßes einer entlüftenden Zelle. Der Hitzeschild muss sowohl der mechanischen Belastung durch den Partikelbeschuss als auch der thermischen Belastung durch das heiße Gas standhalten. Muss die Temperatur des geschützten Bauteils zudem unter einem bestimmten Grenzwert wie zum Beispiel der Schmelztemperatur gehalten werden, ist außerdem eine isolierende Funktion erforderlich.
Gasableitende Strukturen kanalisieren das heiße Gas und leitende Partikel aus der Zelle, führen sie in unkritische Bereiche ab und bilden eine elektrisch isolierende Sperre zwischen den Hochspannungskomponenten. Das minimiert das Risiko eines Lichtbogens zwischen Bauteilen mit unterschiedlichem Spannungspotenzial.
Separatoren zwischen den einzelnen Zellen verhindern die Wärmeübertragung zwischen den Zellen. Zusätzlich zur thermischen Funktion sollten die Trennelemente die Dickenzunahme der Zellen über deren Lebensdauer sowie den Ladezustand kompensieren können und gleichzeitig die Pressung im Zellstapel begrenzen. Separatoren sorgen dafür, dass der Druck auf die Zellen in einem Bereich liegt, der optimal für die Zyklenstabilität ist. Die Folgen eines TRs für Insassen und Fahrzeug sind davon abhängig, wie wirksam das Sicherheitskonzept mit einer, zwei oder allen zuvor genannten Komponenten ist. Der Schweregrad kann in vier Levels eingeteilt werden, BILD 2.
Dieses Level bietet genügend Zeit für eine sichere Evakuierung der Insassen. Außerhalb des Batteriegehäuses ist 10 min lang kein Feuer oder Rauch erlaubt (typischer Zeitrahmen). Ein Hitzeschild mit guter thermischer Isolierung schützt die mechanische Integrität des Batteriegehäuses, und eine effektive Gasableitung verhindert in der Anfangsphase der thermischen Kettenreaktion gefährliche Lichtbögen. Letztendlich kommt es jedoch zu einem Toalverlust des Fahrzeugs. Der Level 1 ist die gesetzliche Mindestanforderung aus der UN GTR No. 20 (Electric Vehicle Safety) [1], die in vielen Ländern übernommen wurde.
Die TP wird eingedämmt, und der Schaden beschränkt sich auf das Batteriegehäuse. Die Insassen haben genügend Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen. Allerdings kann aus dem Gehäuse etwas Rauch entweichen. Ein effektiver Zellseparator mit hoher Wärmeisolierung unterbricht die thermische Kettenreaktion. Ein isolierender Hitzeschild sowie eine Gas- und Partikelableitung vervollständigen das Sicherheitskonzept. Das Fahrzeug wird zur Reparatur abgeschleppt, und die Batterie kann ausgetauscht werden
Das Stop-TP- oder Zero-TP-Konzept verhindert die Eskalation eines TRs. Der Fahrer wird über einen Batterieausfall informiert, eine Evakuierung ist nicht nötig. Eine hochwirksame Wärmedämmung zwischen den Zellen verhindert die thermische Kettenreaktion. Das Ereignis bleibt auf eine Zelle beschränkt. Die Anforderungen an den Hitzeschild und die Gasableitung werden geringer. Das Fahrzeug kann abgeschleppt werden, um die Batterie zu reparieren.
Zusätzlich zum Level 3 ermöglicht ein Batteriemanagementsystem hier, dass das Fahrzeug aus eigener Kraft in die Werkstatt gefahren werden kann.
Aufbau und Konstruktion von Batteriesystemen sind abhängig von Strategien und Präferenzen der Hersteller. Das be - ginnt bei der Zellchemie, wie etwa Li - thium-Eisenphosphat-, NMC- oder auch Natrium-Ionen-Batterien, geht weiter über das Format, wie Pouch, zylindrisch oder prismatisch, bis hin zum Zellpaket, ob Cell-to-Module, Cell-to-Pack oder Cell-to-Body. Jedes Batteriesystem erfordert ein spezielles Sicherheitskonzept mit entsprechenden Komponenten. Eine effektive technische Lösung für Wärmedämmsysteme (Thermal Insulation Systems, TIS) ist eine Kombination aus einem hitzebeständigen Material mit einem intelligenten Design.
Die Basis einer guten Wärmeisolierung ist das Isoliermaterial, nämlich ein Konstruktionsverbundstoff, der die grundlegenden physikalischen, chemischen und mechanischen Eigenschaften mitbringt. Die wichtigste ist eine hohe Hitzebeständigkeit, denn das Material sollte so lange wie möglich intakt bleiben, auch wenn es zu einem TR oder sogar einer TP kommt.
Der andere Aspekt einer guten Lösung ist das Design. Die entwickelten Bauteile sollten die spezifischen Sicherheitsanforderungen des Batteriekonzepts erfüllen und gleichzeitig leicht sowie platzsparend sein. Das Sicherheitskonzept ist ein integraler Bestandteil der Batterie und sollte bereits in der frühen Phase der Entwicklung berücksichtigt werden.
Die Hitzeschilde von Oerlikon wurden aus einem mehrschichtigen Werkstoff in Kombination mit einem speziellen Designkonzept entwickelt. Sie weisen eine hohe Temperaturbeständigkeit bis zu 1400 °C, einen hohen mechanischen Widerstand gegen den direkten Einschlag heißer Gaspartikel und eine gute Wärmedämmung auf. Die Werkstoffe bestehen aus Schichten hitzebeständiger Mineralfaserverbundstoffe, in die zusätzliche Bestandteile zur mechanischen Verstärkung integriert sind. Durch Hinzufügen einer thermischen Barriere wird aus diesem Werkstoff ein isolierender Hitzeschild. Die Temperatur der Rückseite sinkt damit bei einer Flammentemperatur von 1400 °C von über 1000 auf unter 400 °C, BILD 3. Auch können angepasste Hitzeschilde mit lokalen Sperren für temperaturkritische Bereiche oder Bereiche mit hoher Hitzeeinwirkung, zum Beispiel über den Entgasungsauslässen einer Zelle, konstruiert werden.
Der dünnste Hitzeschild mit einer Dicke von nur 1,2 mm hält mindestens 15 s lang Partikeleinschlägen stand und gleichzeitig die Temperatur an der Außenseite unter 400 °C. Die Temperaturgrenze von typischen LeichtbauAbdeckmaterialien wie Aluminium oder Harz-Glasfaser-Verbundstoffen wird also nicht überschritten. Weitere Materialschichten können hinzugefügt werden, um die Partikelbeständigkeit und die Isolierleistung für leistungsstärkere Zellen zu erhöhen, oder mehrere Entlüftungsvorgänge im Fall der Ausbreitung.
Die Isolierleistung solcher Hitzeschilde ist in BILD 3 dargestellt. Sie übertreffen die Anforderungen jeder Batteriezellenkonfiguration. Das Material kann dreidimensional geformt werden, um einen einteiligen Hitzeschild herzustellen. Dieser kann den Konturen der Verkleidung folgen, was die Wirkung maximiert und alle kritischen Bereiche schützt. Zudem lässt er sich so optimal in die bestehende Konstruktion integrieren.
Die Komponenten, die für die Gasableitung verantwortlich sind, spielen eine entscheidende Rolle beim Auffangen des heißen Gasstroms aus einer entgasenden Zelle. Sie sollen in erster Linie verhindern, dass leitende Partikel kritische Bauteile und Bereiche erreichen, insbesondere un - ter Spannung stehende, nicht isolierte Oberflächen und den Raum dazwischen. Das gasableitende System führt die elektrisch leitenden Gase ab und bildet eine elektrisch isolierende Barriere.
Für eine wirksame Leistung muss das Material, das für diese Gasführungsstrukturen verwendet wird, so hitzebeständig sein, dass es dem heißen Gasstrom standhalten kann. Gleichzeitig muss es Eigenschaften wie elektrische Isolierung und mechanische Stabilität aufweisen. Das stellt sicher, dass bei einem TR entsprechende Kanäle unversehrt bleiben. Ideal ist ein modifiziertes Mehrschichtmaterial ähnlich jenem, das für die Hitzeschilde verwendet wird.
Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der Konstruktion der Eintrittsöffnungen für die heißen Gase innerhalb der gasableitenden Struktur. Diese müssen ge - schlossen bleiben, solange die Zelle intakt ist, sich jedoch während eines Entlüftungsvorgangs sofort öffnen. Ein spezieller Mechanismus deckt deshalb die Entlüftungsöffnung ab und wird nur als Reaktion auf ein TR ausgelöst. Der Mechanismus, der die Öffnung auslöst, kann durch erhöhte Temperatur, Druck des ausströmenden Gases oder eine Kombination aus beidem, BILD 4, ge - triggert werden. Ein mechanischer Druckauslöser kann durch eine Sollbruchstelle in der gasführenden Komponente realisiert und der Auslösedruck durch die Ausprägung der Sollbruchstelle eingestellt werden. Öffnungen, die mit wärmeempfindlichen Membranen verschlossen sind, werden thermisch ausgelöst, wobei die Auslösetemperatur vom Material der Membran abhängt.
Ein durch Druck auslösender Öffnungsmechanismus kann vorzugsweise direkt über der Entlüftungsöffnung der Zelle positioniert werden, um den ersten Gasimpuls abzufangen. Im Gegensatz dazu können bei Pouchzellen, bei denen der Austrittsort weniger vorhersehbar ist, temperaturgesteuerte Öffnungsmechanismen verwendet werden.
Zellseparatoren verhindern vor allem, dass Wärme von einer zur benachbarten Zelle übertragen wird. Das Stop-TP- oder Zero-TP-Konzept verlangt, dass die Temperatur einer Zelle 100 °C nicht übersteigt. Multifunktionale Zelltrennelemente sind zudem elastisch, um die Zellatmung sowie die Montagetoleranzen des Zellenpakets zu kompensieren. Die geforderten thermischen und mechanischen Eigenschaften können nicht allein durch Werkstoffe wie Glimmer, AerogelVlies oder Schaumstoff erreicht werden. Um dünne Zellseparatoren zu realisieren, ist eine unterstützende Konstruktionskomponente erforderlich.
Der entwickelte Zellseparator verfügt über zwei Bereiche mit unterschiedlichen elastischen Eigenschaften, BILD 5. Ein fester Rahmen aus einem Elastomermaterial gleicht die Maßtoleranz des Zellstapels beim Zusammenbau zum Modul oder Paket aus, und eine Rippenstruktur sorgt für eine verringerte Elastizität in der Mitte, um die Ausdehnung der Zelle zu kompensieren. Dieses Konzept ermöglicht eine unabhängige Anpassung der Elastizität des festen Rahmens und der Rippenstruktur an die Einbausituation und die Zelleigenschaften. Dies verdeutlicht das mechanische Modell in BILD 5.
BILD 6 zeigt die Ergebnisse der thermischen und mechanischen Analyse von zwei Mustern mit unterschiedlichen Rippenabmessungen (Design 1 und 2). Thermisch gesehen ist ihr Verhalten nahezu identisch: Beide Proben begrenzen die Temperatur auf der kalten Seite auf unter 100 °C, während die Temperatur auf der heißen Seite innerhalb von 200 s von Raumtemperatur auf 700 °C ansteigt.
Beide Designs erlauben eine Zellausdehnung von mindestens 0,45 mm innerhalb der typischen Pressungsgrenzen, die entscheidend sind für die Zyklenstabilität der Zelle (mindestens 0,05 MPa, höchstens 1 MPa). Die Dicke im Einbauzustand liegt zwischen 1,4 und 1,6 mm, das bedeutet eine Kompressibilität von mehr als 30 %. Die mechanische Charakteristik ist jedoch deutlich anders: Der Druck-Dicken-Gradient von Design 1 ist etwa doppelt so hoch wie jener von Design 2, Design 1 ist also „härter“ als Design 2. Mit größeren Dicken von 1,8 bis 2,0 mm lässt sich die Kompressibilität auf >50 % steigern.
Reference [1] United Nations: Global Technical Regulation on the Electric Vehicle Safety (EVS), May 3, 2018. Online: https://unece.org/transport/standards/ transport/vehicle-regulations-wp29/global-technical-regulations-gtrs, access: January 24, 2024
© Copyright 2024 OC Oerlikon Management AG
Zurück zum Seitenanfang keyboard_arrow_up