Im Gespräch mit Georg Stausberg, CEO, und Jochen Adler, CTO
Wie gelingt die digitale Transformation eines Weltmarktführers für Chemiefaseranlagen mit heute über 3.000 Mitarbeitern? Dazu braucht es zuerst ein wirtschaftlich solides Fundament und zahlreiche Bausteine digitalen Wandels wie etwa Organisationsanpassung, Agilität und Qualifizierung des Personals. Welchen spannenden Weg das Oerlikon Segment Manmade Fibers einschlägt, um weltweit neue digitale Produkte und Services mit hohem Kundennutzen zu schaffen, beschreiben Georg Stausberg, CEO, und Jochen Adler, CTO.
Herr Stausberg, erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Schritte in das neue digitale Zeitalter?
Das war eher ein schleichender Prozess als ein bewusster Schritt. Es begann mit der Nutzung von Internet und E-Mail auf dem Computer, später auf mobilen Endgeräten. Mittlerweile ist digitale Technik in unserer gesamten Lebenswelt angekommen, etwa im Haushalt oder in modernen Autos. Letzteres führte dazu, dass wir in unserem Unternehmen vor rund vier Jahren Überlegungen starteten, wie wir durch künstliche Intelligenz zusätzlichen Kundennutzen schaffen können. Auch Autos differenzieren sich heute mehr über digitale Assistenzsysteme als über klassische Antriebs- oder Fahrwerkstechnik.
Für solche Technologien möchten wir im Textilmaschinenbau Trendsetter werden.
Was haben Sie getan, um diesen Anspruch gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern und Kunden erfolgreich umzusetzen?
Wir hatten selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Mut, in die Zukunft zu investieren. Nach ausführlichen Strategiediskussionen im Management-Team entschlossen wir uns vor zwei Jahren, eine internationale Projektgruppe einzurichten. Diese entwickelte in Gesprächen mit Forschungsinstituten, Unternehmen diverser Branchen, eigenen Experten sowie vielen Kunden konkrete Ideen, welche digitalen Produkte und Lösungen für unsere Kunden interessant sein könnten und welcher Kundennutzen sich damit erzielen lässt. Hieraus sind viele Ideen entstanden, die mittlerweile bereits kommerzialisiert sind oder sich als Prototypen in Erprobungsphasen befinden. Bei der Zusammenstellung und Organisation des Projektteams haben wir auch neue Wege des Zusammenarbeitens ausprobiert, die sich bewährt haben und nun auch in anderen Unternehmensbereichen ausgerollt werden.
Können Sie uns mehr zu diesen neuen Wegen sagen?
Die Dynamik bei der Entwicklung digitaler Produkte und Lösungen ist atemberaubend. Agilität ist daher eine Grundvoraussetzung für eine Organisation, um hier erfolgreich zu sein. Unsere Projektgruppe konnte sich darum selbst organisieren und hat sich lediglich mit einem funktionalen Steuergremium ausgetauscht, ohne klare Hierarchien. Wichtig war auch, dass wir Vertreter aus China und Indien, zwei unserer wichtigsten Märkte, dabei hatten. So konnten wir frühzeitig lokale Aspekte berücksichtigen. Bei der Entwicklung digitaler Produkte müssen außerdem Abteilungsgrenzen verschwinden. Die Abteilungen Entwicklung, IT, Kundendienst und Operations können nur Hand in Hand und multifunktional interessante digitale Lösungen entwickeln.
Herr Adler, Sie tragen seit 2017 Verantwortung als CTO. Was haben Sie unternommen, um die digitale Transformation zu meistern?
Gemäß unserer Maxime „We drive the markets“ haben wir noch einmal Geschwindigkeit aufgenommen. Das heißt, wir haben auf Basis unseres Produkt- und Serviceportfolios sowie etablierten Innovationsprozessen digitale Tempomacher etabliert und ausgebaut. Dies führte zu agilen Organisationseinheiten, innovativen Arbeitsmethoden wie Design Thinking und Scrum und nicht zuletzt zum Einsatz von Virtual und Augmented Reality auch bei Kunden.
Was können Ihre Kunden nun von Oerlikon „digital“ erwarten?
Ich würde sagen: die digitale Veredelung unserer Maschinen und Produktionsanlagen zur Herstellung von Garnen, Fasern und Vliesstoffen entlang der textilen Wertschöpfungskette. Unser Versprechen dabei heißt: Wertschöpfung über unsere exzellente Hardware hinaus. Mit digitalen Mitteln wollen wir die Effizienz der Anlagen und die Qualität der Endprodukte weiter optimieren. Getreu unserer e-save-Philosophie möchten wir dabei die Umwelt schützen und die Nachhaltigkeit unserer Lösungen fördern. Dazu nutzen wir das Know-how unseres neu integrierten Partners AC-Automation in der Großanlagen-Automatisierung, der Transport-, Verpackungs- und Lagerlogistik sowie der automatisierten Qualitätskontrolle der Endprodukte. Dies kombinieren wir mit unseren Prozesskompetenzen und dem digitalen Datenhandling mittels unseres Plant Operation Centers, kurz POC. So entstehen innovative Industrie 4.0-Lösungen für unsere Kunden – mit integrierten Speicher- und Kommunikationsfähigkeiten, Funksensoren, eingebetteten Aktuatoren und intelligenten Softwaresystemen. Auf diese Weise bauen wir die Brücke zwischen Daten- und Materialfluss, zwischen virtueller und realer Welt.
Herr Stausberg, was können Ihre Kunden davon bereits auf der ITMA 2019 kennenlernen?
Wir werden unseren Besuchern auf unserem Messestand in Halle 7, A101, ein digitales Erlebnis bieten, um unsere Maschinen, Anlagen, Komponenten und Services intensiv kennen und verstehen zu lernen. Wir setzen dabei auch auf spielerische Lösungen, um die künstliche Intelligenz zu präsentieren. Wir haben 360-Grad- und Augmented-Reality-Anwendungen sowie unseren virtuellen Showroom dabei, um komplexe Anlagen in 3D live erlebbar zu machen. In Kombination mit Maschinenexponaten wird somit die „Digital Factory“ bereits zum Teil Realität.