Berlin-Moabit, das legendäre Gasturbinenwerk in der Huttenstraße. Ayhan Cetin geht durch die Endmontagehalle. In der Mitte der Halle wird gerade ein Auftrag fertiggestellt: eine Turbine vom Typ SGT5-4000F. Was in wenigen Wochen vom nahegelegenen Westhafen aus in Richtung Naher Osten geht, ist eine gewaltige Hochleistungsmaschine, ein Meisterwerk von atemberaubender Eleganz.
Der Versuchsingenieur Cetin geht nun eine Treppe hinauf zu einer Galerie. Von dort blickt man auf einen von weißen Schallschutzwänden umstellten Bereich. Es ist das Gasturbinenprüffeld. Hier, so Cetin, werden aktuelle Produkte und neue Technologien »auf Herz und Nieren getestet«. Mehrere tausend Messpunkte liefern Informationen über Leistung, Effizienz, Wirkungsgrad, Abgaswerte und vieles mehr. Was hinter den Schallschutzwänden vor sich geht, kann ein Außenstehender bestenfalls erahnen. Was er von Cetin erfährt, ist, dass die Wasserreibungsbremse der Anlage dabei eine zentrale Rolle spielt.
Extreme Belastung, große Herausforderung
Die Wasserreibungsbremse besteht aus einem Stahlgehäuse, in dem ein aus mehreren Radscheiben bestehender Rotor betrieben wird. Das Material: ein niedriglegierter Stahl. Cetin kann stundenlang über die Wasserreibungsbremse erzählen. Wenngleich seine Ausführungen eher etwas für Experten sind. Etwa, wenn er über die Theorie der Grenzschichtreibung in turbulenter Strömung spricht. Vereinfacht gesagt: Durch hohe Scher- und Reibungskräfte wird thermische Energie erzeugt und vom Wärmeträger Wasser abgetragen. Abhängig von der regulierbaren Durchflussmenge und der wirkenden Reibfläche wird ein Drehmoment induziert, das die Lastaufnahme der zu testenden Gasturbine quantifiziert.
Cetin wurde 2010 Systemverantwortlicher für das System Wasserbremse im Berliner Gasturbinenprüffeld, dem größten seiner Art weltweit. Die Herausforderungen, die eine Anlage dieser Dimension mit sich bringt, sind gewaltig. Gerade die Wasserreibungsbremse ist extremen Belastungen ausgesetzt und muss häufig inspiziert werden, um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Umso mehr freut es Cetin, dass die Wasserreibungsbremse kürzlich in Zusammenarbeit mit Oerlikon Balzers optimiert werden konnte. Dabei wurden die Radscheiben widerstandsfähiger gemacht. Das Verfahren: Plasmanitrierung. Das Produkt: BALITHERM IONIT. Das Ergebnis: Längere Inspektionsintervalle. Aber der Reihe nach.
Die Siemens AG ist eines der weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Energiegewinnung. Gas- und Dampfturbinen bilden das Kerngeschäft des Technologiekonzerns. Um sein Portfolio definieren zu können, werden unter anderem Prototypen neuer Produkte und Technologien getestet. Entwicklungszeit und -kosten sind entscheidende Faktoren für die Wirtschaftlichkeit jedes Unternehmens. Eine hohe Verfügbarkeit des Gasturbinenprüffelds ist für Siemens PG daher von entscheidender Bedeutung.
In einem konventionellen Gasturbinenkraftwerk erfolgt die Abnahme der erzeugten Energie mittels Generator. Im Berliner Gasturbinenprüffeld ist das nicht der Fall. Dort kann keine dauerhafte Stromerzeugung garantiert und demnach nicht ins Stromnetz eingespeichert werden. Die mechanische Leistung der Gasturbine wird daher über die Wasserreibungsbremse in Abwärme umgewandelt. Sie ersetzt quasi den Generator und fängt die erzeugte Energie ab.